Christian Thiess Photography

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Was macht den Nebel motivierend?

Sonntag. Kaltes, trübes Wetter. Die Stadt lebt heute ihre Winterträgheit aus. Nebel liegt in der Luft. Nebel so dicht, dass man ihn beim Atmen schmecken kann. Diese eiskalte, feuchte Luft. Gerade so, dass die einzelnen Tropfen nicht in der Luft zu Eiskristallen erstarren. Kennst?

Wann hast du das letzte Mal Nebel gerochen?

Es gibt immerhin ein paar Gründe, warum ich an einem Nebeltag das Wohnzimmer gegen Outdoor-Feeling tausche. Und bei aller Ehrlichkeit: daheim geht es mir ja sehr gut. Tolle Family, Couch ist bequem, alles in Griffreichweite was man daheim so benötigt. Aber mich treibt die Bewegung und die frische Luft aus dem warmen zu Hause hinaus. Es kostet mich keine Überwindung, denn am Abend habe ich sicher etwas zu erzählen. Ich werde mich aufgrund der Bewegung und den neuen Erlebnisse gut fühlen und meine Lungen sind voll mit Frischluft. Aber es geht mir auch darum, mich nicht alltäglichen Situationen auszusetzen. In meinem Fall bedeutet das heute, mich warm anzuziehen, und im Nebel auf den Grazer Hausberg zu wandern. Aber damit das nicht im selben Trott wie sonst ausartet, will ich Neues erleben. Ich habe mir heute vorgenommen, eine neue Route zu erschließen. Eine neue Route für mich - nicht im Allgemeinen. Ziel: Nieder Schöckl. Also der kleine Bruder vom Grazer Schöckl.

Es wird großartig. Nur weiß ich das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fix. Klar, jede Bewegung tut gut. An der frischen Luft sowieso. Und Wandern in Kombination mit Fotografieren ist nun mal mein Ding. Nachdem ich mich nicht entscheiden kann, welches Stück Equipment ich daheim lasse, nehme ich lieber alles mit. Und die folgende Aussicht ist nur eines von den eindrucksvollen Motiven, die ich zu sehen bekomme. Enttäuschen wird mich der Tag bestimmt nicht.

Der Plabutsch liegt eingebettet im Grazer Nebenmeer [Blick vom Schöckl ins Grazer Becken]

Aber noch bin ich nicht dort. Winter-Wandersachen, Schneeketten (für die Schuhe), und heißer Tee werden eingepackt. Es geht los. Raus aus der Stadt. Die Straße steigt an. Plötzlich durchbreche ich die Nebeldecke und es umgibt mich ein strahlend blauer Himmel. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ehrlich gesagt hatte ich auch nicht das Wetter geprüft. Umso überraschter war ich von dieser unvermuteten Wendung.

Kurz vor meinem Wander-Ausgangspunkt werfe ich dann auch noch meine geplante Route über den Haufen und parke mein Auto auf einem rammelvollen Parkplatz. Hier gibts zwar außer Autos nix und auch nicht gratis, dafür aber auch keine Leute. Komisch irgendwie. Per Handy wird die neue Lage gecheckt und eine neue Anstiegsroute gesucht. Ich starte querfeldein auf schmalen Trampelpfaden und stapfe bergwärts. Wunderbare Aussicht hinter mir und niemand da. Eine gute Kombination zum Kopfausrauchen. Das Ganze hat sich bereits jetzt ausgezahlt.

Nach einigen Höhenmetern eine NeuE Erkenntnis: Wettercheck ist Obligatorisch

Hier heroben ist es ein warmer Wintertag. Das heißt, Wintergewand und dampfend, heißen Tee würde ich jetzt gern gegen mehr Wasser und dünneres Gewand tauschen. Naja. Hätte ich mitgedacht. Aber positiv denken: durch den kleinen Hitzestau ist das Training intensiver. Na bravo. (Und mir kommt jetzt Keiner mit dem Zwiebel-Prinzip: denn wenn ich im Winter meine Sommer-Zwiebel anziehen würde, erfriere ich bereits im Auto.)

Am Ziel angekommen, ergibt sich eine schöne Aussicht - innerhalb weniger Meter sogar eine Rundumsicht. Und das schöne daran: der Aufstieg von dieser Seite ist keine Massen-Touri-Tour, wie von der anderen Schöckl-Seite kommend. Herrlich.

Mich wundert zwar das am riesigen (Gipfel-) Fels angebrachte Seil, aber entweder es handelt sich um eine dezente Aufstiegshilfe für echte Abenteurer oder man kann damit den Stein ins Rollen bringen. Beides ist nix für mich. Ich dokumentiere lieber mit meiner Kamera.

Nieder Schöckl

Blick vom Nieder Schöckl auf den Sendemast am (großen) Schöckl

Es geht weiter zum Schöckl-Gipfelkreuz, inklusive grandioser Fernsicht. Einmal Abklatsch am Gipfel und wieder ein paar hundert Meter zurück. Dort schlage ich für einige Zeit meine Wurzeln. Perfekter Spot, um die Aussicht zu genießen und für später fotografisch einzufangen.

Wann bist du das letzte Mal stehengeblieben und hast Details wahrgenommen?

Für mich ist eines der schönsten Dinge im Leben, Zeit zu haben, um Innehalten zu können. Stehenbleiben und im Augenblick angekommen zu sein. Damit meine ich nicht nur den schnellen Schritt im Alltag zu verlangsamen. Ich meine genauso das ständige Gedankenkarussell abzudrehen. Wer kennt es nicht, dass ein Gedanke einen anderen jagt? Natürlich muss hier jeder seinen eigenen Weg und Rhythmus finden. Für verschiedene Menschen gibt es genauso verschiedene Ansätze.

Für mich bedeutet es, eine Sache nach der anderen zu machen. Und bei einer Wanderung hört aufgrund der Anstrengung mein Monkey-Mind ziemlich bald zu rotieren auf. Damit sind Momente wie diese (an denen ich die Zeit und Ruhe habe, um den Moment zu genießen) am Schönsten. Ich lasse mich darauf ein, im Hier und Jetzt zu sein. Ich sehe mich um, und “erfahre” die auf mich einwirkende Umgebung. Das Licht, die wärmenden Sonnenstrahlen, die sanfte Brise (die vertrocknete Grashalme in meinen Fotorucksack bläst), das Rauschen der Bäume.

In so einem Augenblick wünsche ich mir, die Situation mitnehmen und teilen zu können. Mit anderen Personen. Mit mir selbst. Für dann, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Erinnerung bereits nachgelassen hat. Und deswegen versuche ich fotografisch einen Ausschnitt der Wirklichkeit in ein stilles Bild umzuwandeln.

Ich evaluiere meine Umgebung, meine Emotionen und Gefühle, was davon für mich die Situation am besten beschreibt. Das, woran ich mich später noch erinnern möchte, wird fotografisch festgehalten.

Bei meiner heutigen Wanderung ist das zentrale Thema der Nebel. Die Nebeldecke erinnert an die berühmten zwei Seiten einer Münze/Situation. Es gibt immer zumindest zwei Sichtweisen. Kein Richtig, kein Falsch. Und heute startete ich unter dem Nebel und hatte einen anderen Blick auf die Wanderung als hier heroben über dem Nebel.

Wie die folgenden Bilder zeigen, gab es eine wintertypisch extrem gute Fernsicht. Wunderbar sind die verschiedenen Nebel- und Dunstschichten in den weit verlaufenden Bergen zu sehen. Und abschließend spendet der nahende Sonnenuntergang noch sein eigenes Licht für die Szenerie.

Der Grazer Plabutsch hebt sich aus dem Nebelmeer

Im Vordergrund der Nieder Schöckl

Nahender Sonnenuntergang rückt eine eigene Stimmung ins Blickfeld

Alles in allem war es eine schöne, winterliche Wanderung mit knapp 9km Länge und ca 625hm (Anstieg). Warum mir meine Sportuhr sagt, ich solle mich jetzt 53h erholen, weiß ich echt nicht. Wobei … erholen tut auch gut.