Frische Gedanken tanken
Wozu geht eine[r] auf den Berg?
Die Gründe sind vielfältig. Meine drehen sich um das Erleben, körperliche Betätigung und um den Kopf klar zu bekommen. Ich kehre meist mit mehr Antworten als Fragen wieder zurück ins Tal. Die Uhren ticken in der Höhe in einem anderen Tempo. Und ich war schon öfter Teil des Monkey-Brain-Stillstandes in der Höhenluft. Und aus diesem Grund zieht es mich immer wieder hinauf. Weil eben dieses Gefühl, dieses “frische Gedanken tanken”-Gefühl, gut tut.
Für manche muss es das perfekte Wetter sein, um sich die Wanderschuhschuhbänder zu schnüren. Ich hingegen verfolge jedoch eines von zwei Zielen: mich aus eigener Kraft viele Höhenmeter raufzuwuchten oder mit der Anstrengung und dem Aussetzen der Natur meine Gedankenwelt zu normalisieren. Und wenn das Wetter mal kein Postkartenmotiv hervorzaubert, dann erlebt man eben etwas, was andere vielleicht nie zu sehen bekommen.
Bei dieser Wanderung habe ich mir die Schneeschuhe geschnürt und bin schnurstracks den Berg rauf. Auf der Kuppe angekommen bot sich mir ein geniales Panorama. Der Schneefall hatte bei mir noch nicht eingesetzt. Die dunklen Wolken in der Ferne und die mit Nebel und Schneefall eingedeckten Berggipfel neben mir deuteten jedoch auf ein kurzes Zeitfenster hin, in dem ich mich trocken ins Tal begeben konnte. Aber jetzt war ich hier und konnte tief durchatmen.
Ok, anders ausgedrückt - ich bin so zackig den Berg rauf, dass ich jetzt sowieso keinen Schritt mehr ohne Taumeln setzen konnte. Das heißt, nicht nur ich konnte sondern ich musste tief durchatmen.
Für mich sind es Augenblicke wie diese, die etwas Neues entstehen lassen. Wann klart der Kopf besser, als direkt nach einer Anstrengung? Sich vom Couchen relaxen bringt keine geistige Entspanntheit. Jeden Tag mit den selben Gedanken im selben Umfeld zu durchleben lässt selten neue Perspektiven schaffen. Es sind die alten, bereits gedachten Gedanken, die uns plagen.
"Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Albert Einstein (angeblich)
Es ist die Abwechslung, eine neue Umgebung, eine Frische die uns nicht unsere alltäglichen, bereits gedachten Gedanken permanent vor Augen hält. Es ist die Frische des Neuen, der Ferne. Selbst die selbe Route, das selbe Ziel bringt in uns nie die selben Gedanken hervor. Die Natur sorgt dafür.
Wieder zurück zu meiner Wanderung bedeutet das Folgendes: Wann können Bilder solcher Art entstehen, wenn nicht im jeweiligen Augenblick? Ein voller Kopf würde sich an den heutigen Motiven stoßen. Zu nichtssagend, zu düster, zu flau, nicht interessant. Und überhaupt: anstrengend war es schon, das Raufgehen.
Aber ich sehe hier ein kontraststarkes Motiv. Im Hintergrund ein Bergmassiv, welches sich, eingehüllt von Nebel und Schneefall, der Natur unterwerfen muss. Im Vergleich zum Vordergrund, wo scheinbar filigrane Bäume in diesem Augenblick buchstäblich die Ruhe vor dem Sturm genießen und somit einen nicht nur tonalen Kontrast zu den Bergen bieten. Für mich handelt es sich hier um ein starkes Bild, in welchem eine der zahlreich möglichen Facetten der Natur zur Schau gestellt wird.
Das Schöne an so einem Augenblick ist, man hat Zeit. Zeit, sich umzusehen. Zeit, im Moment zu sein. Und wem das zu philosophisch ist, der steht einfach da und schaut.
Sehen wir uns das Gipfelkreuz des Kareck an. Der Berg ist kaum erkennbar. Dennoch ist es einer der Höchsten (2.481m) hier in seiner Umgebung am Katschberg. Quasi seiner Mächtigkeit beraubt durch eine Laune der Natur. Er wirkt heute zart und filigran. Schemenhaft angedeutet sind seine Umrisse. Heute wird er eins mit seiner Umgebung.
Unsere Gedanken steuern den Blick wie wir alles um uns herum wahrnehmen: offen oder blind? Raubt uns unser Ego den Blick aufs Wesentliche? Was ist für wen das Wesentliche und muss das des anderen akzeptiert werden? Das lassen wir so im Raum stehen.
Das folgende Bild hält für den geduldigen Betrachter mehrere Sichtweisen in einer Ansicht bereit: Ausschnitte tendieren zum reduzierten Minimalismus bis hin zur Leere. Schweift der Blick weiter, erkennen wir einen überladenen Teil der an ein sattes Völlegefühl erinnert. Gehen wir jedoch einen Schritt zurück finden wir den Beweis, dass alles einem steten Wechsel unterliegt (Anspielung auf das Wetter und die Jahreszeiten).
Auch dieser Ausflug brachte mir eine Erkenntnis. Und in diesem Sinne schließe ich heute diesen Artikel:
Behalte den Überblick, aber schau auch auf die Details, die kleinen Dinge.
Nur oberflächlich alles hinzunehmen, negiert den Blick auf die wunderbaren Details. Zu fokussiert auf Kleinigkeiten, raubt uns die Einordnung ins große Ganze.
Alles in allem war es eine schöne, winterliche Wanderung mit knapp 3,5km Länge und ca. 270hm (Anstieg). Warum mir meine Sportuhr sagt, ich solle mich jetzt 26h erholen, weiß ich echt nicht. Wobei … erholen tut auch gut.